Wie geht die Schweizer Fertigungsindustrie das Thema Digitalisierung strategisch an?
Die Möglichkeiten der Digitalisierung bieten auch der produzierenden Industrie grosse Chancen. Ein Grossteil der Unternehmen hat bereits zahlreiche Digitalisierungsprojekte umgesetzt. Zu Beginn der Digitalisierungsbestrebungen sind dies jedoch oft durch operative Bedürfnisse getriebene Projekte. Dies ergibt durchaus Sinn, da daraus nicht nur rascher Nutzen erwächst, sondern auch Wissen und Erfahrung im Unternehmen aufgebaut werden. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es jedoch empfehlenswert, das Thema strategisch anzugehen, um grössere, unternehmensübergreifende Hebel zu nutzen und, um die Projekte mit dem grössten Beitrag an den Unternehmenserfolg umzusetzen.
Eine klar formulierte Digitalstrategie hilft Unternehmen, die Digitalisierung ganzheitlich zu betrachten, diese an der bestehenden Unternehmensstrategie auszurichten und fokussiert umzusetzen.
Die Arbeitsgruppe «Digitalstrategie» von Industrie 2025, in der Dr. Boris Ricken, Head of Manufacturing Eraneos Group, als Co-Leiter mitwirkt, befasst sich seit Oktober 2019 mit dem Thema. Neben Erkenntnissen zum Vorgehen bei der Erarbeitung einer Digitalstrategie wollte die Arbeitsgruppe erfahren, ob und wie die produzierende Industrie auf dem Werkplatz Schweiz das Thema Digitalisierung strategisch angeht. Hierzu wurde in der zweiten Jahreshälfte 2020 eine Umfrage durchgeführt. Aus den Ergebnissen der Studie geht hervor, dass die Digitalisierung bei mehr als der Hälfte der Befragten zu den strategischen TOP-Themen gehört. Trotzdem haben bislang nur wenige davon eine Digitalstrategie erarbeitet.
Facts & Figures zur Studie
113 Unternehmen haben an der Umfrage teilgenommen. 82% der Teilnehmenden sind im oberen Kader angesiedelt, davon 50% als Mitglieder der Geschäftsleitung und 32% auf der Stufe Abteilungsleitung. Die Hälfte der Unternehmen sind im Maschinen- und Anlagebau (inkl. Zulieferer) tätig und 17% bei Herstellern von elektronischen, optischen und elektrischen Erzeugnissen. 61% der befragten Unternehmen beschäftigen 1 bis 249 Mitarbeitende, 12% 250 bis 999 Mitarbeitende und 27% mehr als 1000 Mitarbeitende.
Zusammenfassung der Umfrageergebnisse
Für 55% der Befragten gehört die Digitalisierung zu den strategischen TOP 3 Themen. Allerdings verfügen 58% noch nicht über eine eigene Digitalstrategie und lediglich ein Drittel der Umfrageteilnehmenden bezeichnete den digitalen Reifegrad ihres Unternehmens als «hoch» oder «sehr hoch».
Die Geschäftsführung von Unternehmen (58%) ist die Anspruchsgruppe, welche die Digitalisierung am stärksten vorantreibt. Ebenso wichtig in diesem Prozess sind das Kader (48%) sowie die Eigentümer des Unternehmens (43%). Hingegen sind nur 20% der Befragten der Meinung, dass die Mitarbeitenden die Digitalisierung «stark» oder «sehr stark» vorantreiben. Auch Kunden und Lieferanten spielen nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin sehen rund ein Drittel der Befragten Partner (Hochschulen, Beratungen) und Wettbewerber als «starke» oder «sehr starke» Treiber der Digitalisierung, während öffentliche Stellen oder Regulierer in diesem Kontext gar keine Rolle spielen.
Als wichtige strategische Herausforderungen für die Digitalisierung wurden insbesondere Veränderungen der Kundenbedürfnisse, neue Technologien und Trends, Automatisierung der Produktion und Prozesse sowie der Aufbau digitaler Kompetenzen genannt. Dem Eintritt neuer Wettbewerber in den eigenen Markt wird hingegen eine relativ geringe Bedeutung beigemessen.
Die Studie verdeutlicht, dass Industriefirmen immer noch stark auf die Digitalisierung ihrer internen Prozesse fokussieren. 70% bezeichnen die Automatisierung von Produktion und Prozessen als «wichtige» oder «sehr wichtige» strategische Herausforderung. Dies widerspiegelt sich auch in den Investitionen: 40-50% tätigen «hohe» oder «sehr hohe» Investitionen in die Automatisierung ihrer Kernprozesse (Produktion, Verkauf und Marketing, Service und Kundendienst, Entwicklung). In die Digitalisierung der Supportprozesse (Beschaffung, Logistik, HR / Admin) wird hingegen deutlich weniger investiert. Ein weiteres wichtiges Investitionsthema sind neue digitale Produkte und Services. 46% gaben an hier «hohe» oder «sehr hohe» Investitionen zu tätigen. Ebenso viel wird in den Aufbau und die Weiterentwicklung von Kunden- und Serviceportalen investiert, während für den Aufbau von Webshops, industriellen Marktplätzen und neuen Geschäftsmodellen nach wie vor eher kleine Budgets gesprochen werden.
Aus technologischer Sicht investieren die befragten Unternehmen mit Abstand am meisten in Informationstechnologien (ERP, CRM, MES, PLM). 61% gaben an, hier «hohe» oder sogar «sehr hohe» Investitionen zu tätigen. Weitere wichtige Technologien sind das Internet of Things und Data Analytics. Demgegenüber investieren Industriefirmen wenig in Blockchain Technologie, Smart Contracts und Kommunikationstechnologien. Erstaunlich ist, dass trotz der zahlreichen Cyber-Attacken auf Industriefirmen in 2020 nur 20% aller Befragten «hohe» oder «sehr hohe» Investitionen in Sicherheitstechnologien tätigen.
Auf die Frage wie die Corona-Krise das Thema «Digitalisierung» beeinflusst hat, stimmten 70% der Aussage zu, dass die Digitalisierung durch die Corona-Krise noch bedeutender für sie geworden ist. 48% der Befragten gaben an, dass auch die Digitalisierung der Kundenschnittstelle durch die Corona-Krise an Bedeutung gewonnen hat. Dementsprechend hat die Corona-Pandemie in den Schweizer Industriefirmen zu keinem weitreichenden Stopp von Digitalisierungsprojekten geführt. Nur 6% der Befragten gehen davon aus, dass durch die Krise Digitalisierungsprojekte im grösseren Umfang gestoppt werden.