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Wie lenkt man den Verkehr des gesamten Nationalstrassennetzes zentral über eine einzige Fachapplikation?

Blogserie zu mehr Verkehrssicherheit und Verkehrsqualität (Teil 7/7)


In unserer mehrteiligen Blogserie beleuchten wir die Entwicklung der Schweizer Nationalstrassen in Bezug auf die Systemarchitektur Schweiz (SA-CH) sowie auf das Verkehrsmanagement. Wir zeigen dabei die Erfahrung von AWK Group in diesen Themen schrittweise auf. Sie erfahren im siebten und letzten Teil, wie der Verkehr auf dem gesamten Nationalstrassennetz zentral über eine einzelne Fachapplikation gelenkt wird.

Sie haben bestimmt bereits mehrere Signale auf den Nationalstrassen gesehen und folgten deren Anweisungen. Fragten Sie sich allenfalls, warum diese Hinweistafel Kenntnis davon hat, wann man die nächste Ausfahrt oder Verzweigung erreicht? Wie es kommt, dass auf den grossen Wechseltextanzeigen im ganzen NS-Netz der Hinweis «Bleiben Sie zuhause» steht? Warum die Geschwindigkeitsanzeige von 120 auf 100 km/h reduziert wird? Wie neuerdings vereinzelt sogar der Pannenstreifen für den Verkehr freigeben wird?


Auf den Schweizer Nationalstrassen gibt es um die zehn verschiedene Typen von Verkehrsmanagement-Anlagen (VM-Anlagen), welche den Verkehr sicher durch das Nationalstrassennetz führen (siehe auch vierter Teil unserer Blogserie zum Thema, wie man mit Verkehrsmanagement-Massnahmen den Stau reduziert). Für die Bedienung der VM-Anlagen ist die Verkehrsmanagementzentrale Schweiz (VMZ-CH) in Emmenbrücke verantwortlich. Die Operatorinnen und Operatoren der VMZ-CH nehmen dort ihre Kern-Aufgaben wahr, um den Verkehr möglichst gleichmässig, störungsfrei und sicher auf dem Nationalstrassennetz fliessen zu lassen.

Zentrales Verkehrsmanagement für die Schweiz

Die Homogenisierung der Systemarchitektur beim Bundesamt für Strassen ASTRA (siehe erster Teil unserer Blogserie zum Thema Systemarchitektur Schweiz, SA-CH) beinhaltet auch eine Zentralisierung der Systemlandschaft. Die Fachapplikation Verkehrsmanagement (FA VM) ist bereits seit 2014 in Betrieb. Sie unterstützt die Operatorinnen und Operatoren bei ihrer Tätigkeit, indem sie unter anderem Informationen über die Verkehrslage durch Verkehrszähler und Kameras zur Verfügung stellt und die Erstellung und Verwaltung von Verkehrsmeldungen ermöglicht. Um auf die Verkehrslage reagieren zu können und die operativen Schaltungen der VM-Anlagen vorzunehmen, müssen sich die Operatorinnen und Operatoren aber nach wie vor regelmässig in unterschiedliche dezentrale Systeme einwählen. Die vielen unterschiedlichen und nicht standardisierten Benutzeroberflächen, Bedienlogiken, die unterschiedliche Parametrierung sowie die unterschiedlichen Regelwerke der lokalen VM-Anlagen verursachen einen hohen Einarbeitungs-, Schulungs- und Arbeitsaufwand.


Mit dem Vorhaben «Integration Verkehrsmanagementanlagen» (IVM) als Teilprogramm des Programms SA-CH wird eine einheitliche und effiziente Steuerung sämtlicher VM-Anlagen auf dem gesamten Nationalstrassennetz durch die VMZ-CH angestrebt.


AWK wirkt seit 2014 zum Start der Initialisierungsphase in diesem Vorhaben mit. Mittlerweile unterstützt AWK das ASTRA mit einem Team von rund 10 Personen in den Rollen IT/OT-Architektur, Business Analyse, Beschaffung, IT/OT Security, OPC-UA Expertise sowie IT-Projektleitung und stellvertretende Gesamtprojektleitung.

Intelligente Algorithmen und automatisiertes, verkehrsadaptives Verkehrsmanagement
Abbildung 1: Verarbeitung der aufgenommenen Verkehrsinformationen von Kameras und Verkehrssensoren
Abbildung 1: Verarbeitung der aufgenommenen Verkehrsinformationen von Kameras und Verkehrssensoren

Die Schalthandlungen in den lokal gesteuerten VM-Anlagen sind bisher auf den Perimeter der Anlage begrenzt. Bei Massnahmen, die ein grösseres Gebiet betreffen oder organisatorische Grenzen überschreiten (z. B. Kantone, Agglomerationen, Verkehrsräume), muss die VMZ-CH teilweise auf viele lokale VM-Anlagen einzeln zugreifen, um ein integrales Verkehrsmanagement zu erreichen. Dies ist zeit- und arbeitsintensiv, führt zu verzögerten Schaltungen und erhöht die Fehleranfälligkeit der Bedienung. Zudem basiert die Verkehrsbeeinflussung auf Nationalstrassen bisher auf Beobachtungen und Erfahrungswerten der Operatorinnen und Operatoren sowie unterschiedlichen Regelwerken. Die eingeschränkte Sichtweise, die hohe Anzahl an vorliegenden Informationen (u.a. aktuelle und historische Verkehrsdaten, Anteil Schwerverkehr, Baustellen, Wetter oder andere externe Faktoren wie Ferienbeginn) sowie eine zunehmende Anzahl an Beeinflussungsmöglichkeiten durch den Ausbau der VM-Anlagen setzen klare Grenzen für die manuelle Handhabung.


Das Vorhaben «Integration Verkehrsmanagementanlagen» (IVM) hat zum Ziel, mittels einer zentralen Fachapplikation den Mitarbeitenden der VMZ-CH ein vollautomatisiertes, verkehrsadaptives Regelwerk (Datenkern, Analysekern, Steuerungskern) zur Verfügung zu stellen, welches Massnahmen zur Verkehrsbeeinflussung automatisiert einleitet oder Schaltvorschläge unterbreitet und alle Massnahmenanforderungen vollautomatisiert im Steuerungskern abgleicht, überlagert und umsetzt.

Beschaffung über selektives Verfahren mit Dialog
Abbildung 2: Grober Ablauf Dialogphase im selektiven Beschaffungsverfahren
Abbildung 2: Grober Ablauf Dialogphase im selektiven Beschaffungsverfahren

Die Anforderungen an das neue System und den Systemlieferanten sollten in Kollaboration mit potenziellen Anbietenden geschärft werden. Aus diesem Grund wählte das Projektteam für die öffentlich-rechtliche Beschaffung das selektive Verfahren mit der Durchführung eines Dialogs. Drei Unternehmen wurden zur Dialogphase zugelassen, um in je vier Dialogen pro Unternehmen das konkrete Vorhaben zu schärfen. In den Dialogen wurde von jedem Unternehmen ein Lösungsvorschlag erarbeitet und präsentiert, ein Prototyp aufgesetzt und demonstriert sowie der Entwurf des auf den drei durchgeführten Dialogen basierenden Pflichtenhefts mit sämtlichen dazugehörigen Unterlagen besprochen. Anschliessend reichten die Unternehmen ihr Angebot ein.


Mehr zur Verwendung des Instruments Dialog in einem Beschaffungsverfahren finden Sie hier: https://www.awk.ch/resources/AWK_E-Paper_Dialog_in_der_oeffentliche_Beschaffung.pdf

Mit einem Proof of Concept zur schweizweiten Verkehrslenkung

Mit der Umsetzungspartnerin werden anschliessend in einer ersten Realisierungs-etappe die Anpassung und Integration der neuen Fachapplikation als Standardprodukt für die zentralisierte Verkehrslenkung Schweiz (VL-CH) in der VMZ-CH sowie die Spezifikation und Umsetzung der benötigten Schnittstellen zur Anbindung erster VM-Anlagen durchgeführt. Diese Schnittstellenspezifikation soll in Zukunft als einheitlicher Standard auf dem gesamten schweizerischen Nationalstrassennetz angewendet werden. Ebenfalls werden in dieser ersten Etappe das Integrationskonzepts sowie sämtliche relevante Geschäfts- und betrieblichen Prozesse auf einer Strecke mit unterschiedlichen VM-Anlagetypen im Rahmen eines Proof of Concepts getestet und in den operativen Betrieb eingeführt. In den Nachfolgeprojekten soll schrittweise in mehreren Realisierungsetappen die schweizweite Integration der VM-Streckensysteme erfolgen.


«Collaborative Routing» als neuartiges und intelligentes Verkehrsmanagement
Abbildung 3: Beispielbild des Collaborative Routing mit Angabe Reisezeiten der Verkehrsteilnehmende
Abbildung 3: Beispielbild des Collaborative Routing mit Angabe Reisezeiten der Verkehrsteilnehmende
Auch international gibt es Bestrebungen, das Verkehrsmanagement intelligenter abzuwickeln, mit dem Ziel, den Verkehr effizienter zu lenken. Mit dem sogenannten «Collaborative Routing» werden Zeitstempel und Ortskoordinaten des Fahrzeugs (bspw. Navigationsgerät, Smartphone-App, etc.) an ein Endgerät übertragen, wobei die Echtzeit-Verkehrsflüsse analysiert werden und die beste Routenwahl für das jeweilige Fahrzeug definierte Ziel regelmässig neu berechnet wird. Die Verkehrsteilnehmenden tragen damit zu einem insgesamt flüssigeren Verkehr und gar zum Einsparen von Emissionen durch bessere Routenwahl und weniger im Stau verbrachte Zeit bei. Die Operatorinnen und Operatoren der Verkehrsmanagementzentrale erhalten mit diesem neuen System einen ganzheitlichen Überblick zur Verkehrslage mit neuen Möglichkeiten für die Verkehrslenkung und dem Verkehrsmanagement insgesamt.


Ein «Collaborative Routing» ist aus unserer Sicht wirtschaftlich dann am effizientesten, wenn man Floating Car Daten (FCD) von bestehenden Anbietenden auf dem Markt einkauft. Dazu müsste sich die öffentliche Hand mit den verschiedenen potenziellen Lieferanten von FCD zusammensetzen und Möglichkeiten für öffentlich-private Partnerschaften ausarbeiten. Die heutige Verkehrsdatenerhebung mittels Verkehrszähler (insbesondere in die Strassen verbaute Induktionsschleifen) sind kostenintensiv und die Datenübertragung fehleranfällig. Diese Verkehrszähler sind vor allem für lokale Steuerungen und für Statistiken, nicht aber für Echtzeit-Verkehrsmanagement geeignet. Dennoch sollten diese (mit entsprechender Plausibilitätsprüfung) für das Verkehrsmanagement genutzt werden –nicht aber als alleinige Datenbasis.


Zudem empfehlen wir, den Einsatz von bestehenden und neuen Videokameras als Verkehrszähler trotz technischer Herausforderungen (unterschiedliche Neigung der Kameras, Tageszeit und Bildqualität) konsequent und in internationaler Kollaboration weiterzuverfolgen. Die absolut korrekte Anzahl und Klassifizierung der Fahrzeuge ist für das Verkehrsmanagement dabei nicht entscheidend, denn mittels Data Analytics und künstlicher Intelligenz lassen sich die Zählerdaten aus den verschiedenen Quellen sehr gut und in Echtzeit auf ihre Plausibilität prüfen.

Fazit: Die Reisezeiten und Ihr Stressenlevel werden reduziert

Als aktiver oder passiver Insasse eines Autos werden wir von dieser evolutionären Neuerung nicht viel sehen, aber spüren! Durch das intelligente schweizweite Zusammenspiel der VM-Anlagen mit dem automatisierten und verkehrsadaptiven Verkehrsmanagement werden Ihre Reisezeiten und Ihr Stresslevel reduziert.


Das «Collaborative Routing» auf Basis einer Kombination aller zur Verfügung stehenden Daten wird zudem für die Bewältigung der prognostizierten Erhöhung der Belastung auf den Schweizer Strassen unerlässlich, da ein weiterer Ausbau der Strassenkapazitäten mittelfristig an seine Grenzen stossen wird.

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