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Erdgas – das Ende einer Ära?

Das Ende eines Energieträgers geht schneller voran, als gedacht. Ist das Erdgas vor dem Aus?
Eraneos Blog Erdgas Ende einer Ära

Vor einem Jahr haben wir im Blog diskutiert, ob die These des toten Verbrennungsmotors 2025 zu gewagt sei. Knapp ein Jahr später erscheint uns diese Diskussion seltsam: Einerseits aufgrund immer neuer Verkaufsrekorde, andererseits aufgrund der Autobauer und Länder, die das Ende des Verbrennungsmotors ankündigen. Könnte sich nun Ähnliches im Gasmarkt abspielen? Ist dies das Ende der Erdgas-Ära?


Lange Zeit galt Gas als eine CO2-arme Zukunftstechnologie, wurde dann zur Brückentechnologie im Übergang zu 100% erneuerbare Energien und wird jetzt von vielen als Teil des Problems einer «Netto Null»-Gesellschaft gesehen. Um den Weltklimarat IPCC zu zitieren: «Es geht um das Überleben der Menschheit». Der Krieg in der Ukraine, die damit verbundene Unsicherheit und die enorm gestiegenen Preise beschleunigen diesen Sinneswandel aktuell weiter. In diesem Beitrag wollen wir diskutieren, wie der Sinneswandel überhaupt zustande kam und was dies für Gasversorger bedeutet.


Vorausgeschickt werden muss, dass sich der Gasmarkt zum Fahrzeugmarkt fundamental unterscheidet. Gas ist wie Strom leitungsgebunden und die zur Verteilung notwendige Infrastruktur somit langen Investitions- und Abschreibungszyklen unterworfen (etwa 50 Jahre versus 10 Jahre im Fahrzeugbereich). Gasleitungen haben damit in etwa die gleiche technische Lebensdauer wie neue Kernkraftwerke. Weiterhin bezieht sich dieser Artikel auf das «Flächennetz» zur Versorgung von Endanwendern mit Heizenergie (Gas zum Kochen ist mengenmässig nicht relevant und kann durch Strom sehr schnell ersetzt werden). Die Industrie, die auf grosse Gas-/ Energiemengen als Prozessgas auf kleinem Raum angewiesen ist werden wir hier nicht genauer beleuchten, da es dort schwerpunktmässig nicht um die Netze, sondern um die Mengen geht.  

Aktuelle Situation

Das Gasnetz ist historisch gewachsen und wurde zum grossen Teil vor der Klimawandeldiskussion in Angriff genommen, beziehungsweise in Zeiten, in denen «Netto Null» noch eine Utopie war. Zudem ist das Netz für die damaligen Bedürfnisse gebaut worden. Durch Neubauten, nachträgliche Dämmung, effizientere Brenner und mildere Winter sinkt der Bedarf pro Gebäude. Minergie-(P)-Häuser und/oder die Nutzung von Wärmepumpen, die einen Grossteil der Wärmeenergie aus der Umwelt beziehen, werden diesen Trend weiter verstärken. Nicht immer muss dies zu geringerem Gasverbrauch führen, aber insgesamt ist damit zu rechnen, dass die Abnahmedichte (gelieferte Kilowattstunde pro Leitungsmeter) sinken wird. Dies führt dazu, dass das bestehende Netz an Wert verliert und dadurch vorzeitig abgeschrieben werden muss, weil der Ertrag abnimmt (geringere, durchgeleitete Energiemenge bei gleichem Netz). Wartung und Ersatzinvestitionen bleiben aber auf dem gleichen Niveau notwendig. Dies resultiert darin, dass der (Netz-)Preis pro Kubikmeter Gas steigen wird. Zusammen mit solch massiven Preisschwankungen, wie wir sie derzeit erleben, könnte dies eine Absatzbewegung weg vom Gas deutlich beschleunigen, unabhängig beziehungsweise «on top» zur derzeitigen politischen Diskussion.  

Wie ein erfolgreicher Ausstieg aus dem Erdgas gelingt

Bereits vor dem Krieg in der Ukraine haben Gasversorger den langfristigen Ausstieg beschlossen. Es ist damit zu rechnen, dass dieser nun schneller vonstattengeht und sich die Geschwindigkeit erhöhen wird – das heisst, dass das «Enddatum» nach vorne gezogen wird. Ein Beispiel: Zürich hat bereits 1992 beschlossen, dass, abgesehen von Strom, langfristig nur ein einziger leitungsgebundener Energieträger zur Verfügung steht: die Zürich Wärme (Fernwärme) von ERZ Entsorgung + Recycling Zürich. Neue Gasanschlüsse sind in Zürich bereits nicht mehr erlaubt, ausserdem wurden erste Gebiete schon vom Netz genommen (siehe Energieplanung Zürich Nord: https://www.energie360.ch/de/energie-360/wissen/energieplanung/zuerichnord/). Bis 2040 möchte Zürich «erdgasfrei» sein. Wie man an der Planung für Zürich Nord sehen kann, drängt sich ein gebietsweises Vorgehen fast auf. Dies beinhaltet den Aufbau der Alternativen (Fern- und Nahwärme, andere Heizungsarten wie Wärmepumpen) und – sofern notwendig – einen kurzen Parallelbetrieb, um nicht sowohl die alte als auch die neue Infrastruktur nebeneinander betreiben zu müssen.

  

Aus unserer Sicht ist die Frage nicht, ob sich die Schweizer Gasversorger vom (Erd-) Gas für Wärmeanwendungen werden verabschieden müssen, sondern wann und wie. Natürlich gibt es Alternativen für fossile, gasförmige Energien (beispielsweise grüner Wasserstoff oder Biogas); effektiv sind die Möglichkeiten, die heute notwendigen Mengen von Biogas oder Power-to-X zu produzieren und diese saisonal zu speichern aber noch zu beschränkt, um den Absatz zu decken. Vermutlich werden sich Fernwärme und andere Formen der Wärmeenergieerzeugung durchsetzen. Diese stehen ebenfalls vor der Herausforderung, von wo die Energiemengen (vor allem im Winter) besorgt werden können. Dies ist jedoch nicht Schwerpunkt dieses Beitrages, da wir uns auf die Aspekte des Netzes fokussieren werden.   

Herausforderungen für Gasversorger

Fassen wir die oben genannten Erkenntnisse zusammen, finden wir folgende Herausforderungen für Gasversorger:


  1. Cash Cow:
    Wie im Stromnetz konnten im Gasnetz in den letzten Jahrzehnten gute Margen erwirtschaftet werden. Diese Margen sind bedroht und fallen – sofern keine Massnahmen getroffen werden – ersatzlos weg, sobald sich Energieversoger vom Gas verabschieden. Diese Gewinne fehlen nicht nur im allgemeinen «Firmen-Haushalt», sondern auch ganz spezifisch für den Umbau der Energieversorgung.

  2. Langlebige Infrastruktur:
    Wie oben erwähnt, sind die Gasnetze aber nicht auf Null abgeschrieben und werden dies, aufgrund nötiger Wartungen und Ersatzinvestitionen, auch nie sein. Dies bedeutet, dass bei einem Ausstieg zwangläufig Sunk Costs (also Ausgaben in der Vergangenheit) zu Stranded Investments (ausserordentliche Abschreibungen) umgewandelt werden müssen, gegebenenfalls sogar um Kosten für den Rückbau des Netztes erhöht.

  3. Gebietsbezogene Infrastruktur:
    Erschwerend kommt hinzu, dass keine kontinuierliche Ausserbetriebnahme erfolgen kann. Ein Druckminderer von Hochdruck auf Niederdruck wird benötigt, auch wenn nur ein einziges Gebäude versorgt wird. Hier kann es zu sprunghaften «Stranded Investments» kommen.

  4. Verlässliche Kommunikation mit den Kund*innen:
    Investitionen in Heizungen auf der Hausseite sind langlebig, typischerweise über 20 Jahre. Beim Bau oder bei der Renovation eines Hauses muss somit klar sein, ob die nächsten 20 Jahre noch Gas geliefert wird. Kommt es aufgrund von politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen zu einem vorzeitigen Versorgungsende, steht der Gasversorger in der Pflicht mit den Hauseigentümern eine Lösung zu finden oder sogar eine finanzielle Kompensation zu leisten.

Handlungsempfehlungen für den Einstieg in andere Energieformen

Welche (generischen) Handlungsmöglichkeiten haben Gasversorger, um den Ausstieg aus Gas und den Einstieg in anderen Energieformen möglichst «smooth» zu gestalten:


  1. Datengrundlagen schaffen:
    Ohne eine vernünftige Datengrundlage sind alle Ziele und Planungen im Voraus zum Scheitern verurteilt, da gar nicht beurteilt werden kann, wie die Ziele erreicht- oder sogar gar keine Ziele gesetzt werden können. Es gilt daher – auch im Hinblick auf den operativen Betrieb – den vorhandenen Datenschatz gut zu kennen, die notwendigen Daten zu identifizieren und Lücken zu schliessen. Konkret können dies sowohl Vergangenheitswerte also auch Prognosen sein, beispielsweise Verbräuche von Gebieten, Kunden(-gruppen) oder Haushaltstypen oder Daten des Netzzustandes und der anstehenden Wartungs- und Erneuerungskosten.

  2. Kommunikation nach innen und aussen:
    Durch eine offene, ehrliche und klare Kommunikation können sowohl Mitarbeitende, Kund*innen, Einwohner*innen und Wähler*innen mitgenommen werden; oftmals treten diese auch in Personalunion auf. Absolut zentral ist hierbei die klare Kommunikation der Ziele, des Vorgehens aber auch der damit verbundenen Kosten und Konsequenzen, beispielsweise langjähriger Baulärm.  

  3. Klare Ziele setzen:
    Ohne die Definition eines einfachen Zieles (beispielsweise ein Ausstieg aus Erdgas bis 2040) kann keine klare Kommunikation und auch keine fokussierte Strategie erstellt werden. Vermutlich wird das Ziel von den Eigentümern und damit von der Politik beschlossen werden. Das Wissen ist aber im operativen Betrieb vorhanden. Durch frühzeitiges Agieren kann daher das Unternehmen / die Geschäftsleitung die Ziele zwar nicht bestimmen, aber entscheidend beeinflussen.

  4. Langfristige Planung:
    Ziele müssen in einem langfristigen Plan umgesetzt werden. Eine Etappierung, wie in Zürich bereits aufgesetzt, drängt sich fast auf. Erneuerungen, die nicht zentral für die Versorgungssicherheit sind, müssen gegebenenfalls durch Provisorien ersetzt werden, zum Beispiel Micro-Wärmeverbunde mit einer Wärmepumpe und Spitzenabdeckung mit Gas, die später auch (komplett) erneuerbar betrieben- oder an ein allgemeines Fernwärmenetz angeschlossen werden können.

  5. Sicherheit schaffen:
    Neben der generellen Kommunikation (siehe Punkt 2) ist das zu schaffende Angebot an die Kund*innen zentral. Unsicherheiten («Muss ich nach fünf Jahren meine Gasheizung wieder ersetzen?») können durch neue Serviceangebote begegnet werden («21° in der Wohnung»). Hierdurch wird möglicher Widerstand abgebaut, die Flexibilität des Versorgers erhöht und ein langfristiger Lock-In der Kund*innen bei entsprechender Attraktivität des Angebots erzeugt.

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Fazit

Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Ja, die Erdgas-Ära steht vor dem Aus.  

Das Ende dieses Energieträgers wird schneller geschehen als noch vor wenigen Monaten gedacht. Aber durch eine optimale, flexible und vor allem auch frühzeitige Planung können die Auswirkungen und Kosten reduziert werden.

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